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Die Zukunft der deutschen Industrie entscheidet sich in Nordrhein-Westfalen

Porträt Ministerin Mona Neubaur

Die Zukunft der deutschen Industrie entscheidet sich in Nordrhein-Westfalen

Die wirtschaftliche Struktur Nordrhein-Westfalens ist vielfältig, innovativ und regional fest verwurzelt – vom KI Start-Up, über den mittelständischen, familiengeführten Automotive-Zulieferer bis zum global agierenden Dax-Konzern bietet das Land allen eine Heimat. Damit das zukünftig auch so bleibt, müssen genau jetzt zentrale Weichen gestellt werden. Sonst droht NRW – und damit der gesamten Republik – die Erosion seiner industriellen Substanz und spürbare Wohlstandsverluste.

Von Mona Neubaur

 

Der wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg ist untrennbar verbunden mit der wertschöpferischen Leistung Nordrhein-Westfalens. Hier im Westen wurden maßgeblich durch Montanindustrie, Textilgewerbe und Maschinenbau, durch harte Arbeit gepaart mit unternehmerischem Mut die Grundlagen für den bundesrepublikanischen Wohlstand gelegt, der jahrzehntelang Freiheit, Stabilität und soziale Sicherheit garantierte. Heute, im Jahre 2023, müssen wir konstatieren: Diese Garantien gelten nicht mehr uneingeschränkt, ja, sie drohen sich angesichts globaler Stapelkrisen aufzulösen – und das in einer Rasanz, die das demokratische Gefüge unserer Gesellschaft nachhaltig zu beschädigen droht. Auch wenn diese Diagnose auf den ersten Blick düster klingen mag, die Aussichten sind es mitnichten. Denn: wir verfügen über die Instrumente und besitzen die Stärke, unsere Strukturen zu transformieren und so die Wertschöpfungsketten und die Jobs der Zukunft im Land zu halten. Optimistisch stimmen uns dabei die vielen Betriebe, Unternehmen und Konzerne, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, Verantwortung übernehmen, in eine klimaneutrale Zukunft investieren und damit ein klares Statement für den Industriestandort NRW setzen.

Jede achte erwerbstätige Person in Nordrhein-Westfalen arbeitet in einem der rund 10.000 Industriebetriebe, die zusammen mehr als ein Viertel der Bruttowertschöpfung unseres Bundeslandes erwirtschaften. Diese Industrie, diese Wertschöpfung, diese Beschäftigung im Land zu halten und fit für die Zukunft zu machen, hat für mich höchste Priorität. Das betrifft insbesondere die energieintensive (Grundstoff-)Industrie, die oftmals den Beginn langer Wertschöpfungsketten im Land bildet. Sie wird durch hohe Energiepreise im internationalen Wettbewerb benachteiligt und in ihrer Existenz bedroht. Deshalb braucht es hier schnell wirksame und unmittelbar spürbare Entlastungen. Angesichts der Herausforderungen müssen daher aus meiner Sicht zwei Maßnahmen parallel scharf gestellt werden: der zeitlich befristete Brückenstrompreis von etwa 6 Cent pro Kilowattstunde, verbunden mit Anreizen zur Transformation und Energieeinsparung, muss kurzfristig kommen. Er gibt der Industrie eine klare Perspektive für Investitionen eine klimaneutrale Zukunft hier in Deutschland. Gleichzeitig muss die Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz gesenkt werden, damit wir die Unternehmen in der Breite entlasten können. Sowohl die eine, als auch die andere Maßnahme setzt voraus, dass der Bundeskanzler sehr zeitnah seine destruktive Haltung aufgibt und sich bei diesen Themen bewegt. Tut er das nicht, wird er eine Abwanderungswelle zentraler Schlüsselindustrien mitverantworten müssen.

Beide Maßnahmen müssen in eine ambitionierte Ausbaustrategie der erneuerbaren Energien eingebettet werden, die auf absehbare Zeit dafür sorgen wird, die Marktpreise für Strom wieder signifikant sinken zu lassen. Nordrhein-Westfalen ist in den vergangenen zwölf Monaten – aufbauend auch auf den Reformpakten des Bundeswirtschaftsministeriums – bereits entscheidende Schritte gegangen. Durch den beschlossenen vorgezogenen Kohleausstieg 2030 und weitreichende landesplanerische Änderungen haben wir einen Rahmen kreiert, der Planungssicherheit bietet und ausreichend Flächen für die Erneuerbare schafft. Die ersten Effekte sind bereits deutlich sichtbar: Nordrhein-Westfalen hat sich bei Genehmigungen von Wind- und Solaranlagen im Bundesländervergleich an die Spitze gearbeitet. Mein Ziel ist es, dass wir dort bleiben.

Die Zahlen belegen: Wir sind in Nordrhein-Westfalen auf einem guten Weg. Aber wir müssen schneller werden. Bis zum Abschluss eines Investitionsprojektes vergeht durch teils langwierige Genehmigungs- und Anzeigeverfahren zu viel Zeit. Dies ist ein klarer Standortnachteil. Neben qualifiziertem Personal in den Genehmigungsbehörden braucht es hier vor allem digitale Lösungen und im Sinne einer Entbürokratisierung schlankere Verfahren. Der überarbeitete Artenschutzleitfaden, den wir in NRW aufgesetzt haben, und die Task Force Ausbaubeschleunigung Windenergie sind dafür hervorragende Beispiele. Der Bundeskanzler muss dafür sorgen, dass der lange angekündigte Bund-Länder-Pakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung kurzfristig entscheidende Verbesserungen für alle Projekte von Zukunftsinfrastruktur bringt.

Es ist eine volkswirtschaftliche Binse: Der Wohlstand von morgen basiert auf Investitionen, die heute getätigt werden. Auch deshalb hat sich die Landesregierung entschieden, die klimaneutrale Umstellung der Produktionsprozesse bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg in der zentralen Ankerbranche Stahl mit der bisher größten Einzelförderung der Landesgeschichte zu unterstützen. Mit bis zu 700 Millionen Euro wollen wir in den kommenden Jahren sicherstellen, dass im Herzen des Ruhrgebiets grüner Stahl aus den Produktionshallen kommt – und durch die entstehenden, enormen Bedarfe der Wasserstoffhochlauf Fahrt aufnehmen kann. Nach Berechnungen des RWI sind für Nordrhein-Westfalen allerdings rund 70 Milliarden Euro notwendig, um die klimaneutrale Transformation in allen entscheidenden Industriezweigen erfolgreich umzusetzen – und zwar jährlich. Diese Summe kann nur gestemmt werden, wenn die Rahmenbedingungen für private Investitionen stimmen, aber auch der Staat weiterhin in die Zukunft investiert. Gerade letzteres gilt in kritischen Situationen und in Verantwortung für nachfolgende Generationen umso mehr.

Nordrhein-Westfalen ist das industrielle Herz Deutschlands. Kommt es hier zu Rhythmusstörungen, betrifft das die ganze Republik. Daraus folgt für mich zwangsläufig, dass es angesichts der großen Herausforderungen eine gesamtstaatliche Aufgabe sein muss, die Rahmenbedingungen für Industrie und Unternehmen zu verbessern. Nordrhein-Westfalen wird seinen Teil beitragen – der Bund muss es auch.

Die Autorin ist seit 2022 stellvertretende Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens sowie Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.